Saiblingshochzeit

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Nordlicht
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Die Fotos habe ich damals noch in Deutschland gemacht. Der Bachsaibling ist hier in Norwegen natürlich eher eine Ausnahme, während der Seesaibling hier gewöhnlich ist. Trotzdem gibt es ja nicht so viele Fotos dieser Salmoniden und ähnliches Verhalten spielt sich ja auch bei anderen Salmoniden in fast jedem norwegischen Gewässer jeden Herbst ab. Text und Fotos Sven Gust.

Die Hochzeit der Saiblinge

Wenn die Tage kürzer werden und die Wassertemperaturen von Woche zu Woche sinken, dann beginnt für manche Fische erst so richtig die heiße Zeit. Der Bachsaibling zählt zu einem der schönsten und edelsten Salmoniden in unseren Gewässern. Dabei verzeiht man ihm auch gerne, dass er ursprünglich gar kein Einheimischer ist, sondern einst aus Nordamerika emigrierte.

Es sind hauptsächlich zwei große Männchen (Milchner), die hier noch um den Rang als Platzhirsch buhlen – so viel habe ich schon herausgefunden. Sie umkreisen sich mit aufgestellten Flossen, dicht über dem Sand und Steingrund des Sees. Hochrückig sind sie und tragen einen ausgeprägten Laichhaken. Auch die Färbung ist sehr intensiv, und wären da nicht die markanten weißen Flossensäume, und wüsste ich nicht genau, dass ich mich in Europa befinde, so könnte ich vermuten, dass hier Rot- oder Hundslachse um mich herumkreisen.
Die weiblichen Fische (Rogner) halten vornehm Abstand, während die Rüpel ihre Show abziehen. Ich schätze, dass es um die fünfzehn Weibchen sind, die dicht unter der Wasseroberfläche schwimmend ihre Bahnen ziehen. In einiger Entfernung nähert sich ein weiterer Milchner dicht über dem Grund. Er ist noch größer als die beiden ohnehin schon knapp 60 Zentimeter langen Rivalen, die ihre Kreise umeinander mittlerweile immer enger ziehen, wirkt aber weniger kräftig. Es verspricht, spannend zu werden. Die beiden Kontrahenten beachten den Neuankömmling zunächst gar nicht. Ich scheine ebenfalls keine große Rolle für sie zu spielen, und dagegen habe ich auch nichts einzuwenden, denn so kommen sie mir und meiner Kamera erstaunlich nahe und lassen sich auch nur wenig von den immer wieder aufzuckenden Blitzlichtern aus dem Konzept bringen, als ich damit beginne, Fotos zu schießen.
Es ist ein Schauspiel, das ich an diesem Tag erleben darf, wie es spannender nicht sein könnte. Die Hochzeit der Salmoniden, die hier direkt um mich herum stattfindet, hat alles, was ein gutes Unterhaltungsprogramm haben muss. Es ist ein Krimi, es ist eine Romanze und es ist eine Dokumentation, die sich hier direkt vor meinen Augen abspielt, und immer wieder passiert etwas Unerwartetes. Erst als die Nadel des Druckmessers mir anzeigt, dass die Atemluft in den Pressluftflaschen sich langsam der Sicherheitsreserve nähert, verabschiede ich mich langsam und schweren Herzens von dem Geschehen. Als ich am Ufer stehe bemerke ich erst, wie durchgefroren ich trotz des Trockenanzuges und der dicken Thinsulate Unterwäsche bin. Kein Wunder - ich habe beinahe 90 Minuten fast regungslos in der flachen Bucht des Sees auf dem Boden gekniet und das Treiben um mich herum beobachtet. Als ich die Ausrüstung ins Auto lade und die Heizung auf Maximum stelle, steht mein Entschluss bereits fest: So schnell wie möglich will ich nochmal her kommen, und ich hoffe, dass die Saiblinge dann noch immer am gleichen Platz sein werden und dass ich vielleicht nochmal eine Zugabe des Schauspiels bekommen kann!
Wie so oft im Leben kommt immer alles anders als man denkt, und so jagt in den kommenden Tagen ein Termin den nächsten und lässt mich nur in meinen Gedanken zum See und den Saiblingen, die sich in der Bucht für das große Ereignis versammelt haben, zurückkehren.
Mehr als eine Woche ist vergangen, bevor ich die Zeit finde, auch wieder physisch den See zu besuchen, und ich beschließe, möglichst frühzeitig dort zu sein. Die gut hundert Kilometer Autofahrt verbringe ich damit, zu hoffen und zu bangen. Über den Weiden hängt schwerer Nebel, und Rehe nutzen die letzen Gelegenheiten, noch einmal sattes grünes Gras zu speisen, bevor der Winter kommt. Am See angekommen bietet sich mir ein geradezu vollkommenes Bild, als die noch trägen morgendlichen Sonnenstrahlen gerade beginnen, sich durch den aufsteigenden Dampf zu drängen. Bläßhühner und Enten dümpeln auf dem See, ohne dass sie besonders aktiv zu sein scheinen. Ein Graureiher ist von meinem Erscheinen wenig begeistert und räumt scheinbar recht widerwillig das Feld, um sich nur etwa hundert Meter weiter, auf einem ins Wasser gestürzten Baum niederzulassen, der halb aus dem Wasser ragt. Allein schon dieser Anblick war es wert, hierher zu kommen, sage ich mir. Aber ich hoffe im gleichen Moment, dass ich mich nicht tatsächlich mit der Schönheit und Ruhe dieses Herbstmorgens begnügen muss.
Knapp 20 Minuten später tappse ich unbeholfen und mit kleinen Schritten, eingepackt in gut 50 Kilogramm Stahl, Blei, Gummi und Thermounterwäsche und mit weiteren 15 Kilogramm Kameraausrüstung in der Hand zum Ufer: Ich komme mir mal wieder ziemlich albern vor wie ich da so unbeweglich und langsam in ein Element abtauche, in dem ich eigentlich gar nichts verloren habe. Dahin, wo mir selbst der unförmigste Fisch oder Meeressäuger so haushoch überlegen ist, dass ich mich immer nur wundern kann, wie sich die Bewohner der Unterwasserwelt überhaupt hin und wieder mit uns Tauchern abgeben und uns einen kleinen Einblick in ihr Leben gönnen.
Mein Pulsschlag steigt ein wenig, als ich mich der Kiesfläche nähere, wo ich vor gut einer Woche eben einen solchen Einblick erhalten habe und der Saiblingshochzeit als ungeladener Gast beiwohnen durfte. Wie ich es befürchtet habe, ist von den Salmoniden weit und breit nichts zu sehen. Die Sichtweiten sind gut, sicherlich zehn Meter. Und so beschließe ich, einen Moment abzuwarten und die Umgebung zu beobachten. Reglos knie ich auf dem Boden und spähe in die Runde. Nach einigen Minuten zieht eine schöne Seeforelle seeseitig an mir vorüber. Sie folgt der Kante, an welcher die Sandfläche auf eine Steilwand trifft und senkrecht in beinahe 40 Meter Tiefe abfällt. Augenblicke später verschwindet ihr dunkler Umriss im Blau. Das Warten geht weiter, und lediglich ein kleiner Barsch leistet mir Gesellschaft. Scheinbar findet er es sehr spannend, wenn ich bei meinen sehr sparsam gehaltenen Bewegungen Sand aufwirble und schießt dann jeweils umgehend mit aufgestellter Rückenflosse aufgeregt zu der kleinen Sandwolke in der Erwartung, etwas Fressbares zu finden. Mangels anderer Beschäftigungen beginne ich damit, hin und wieder absichtlich mit der Hand kleine Sedimentwolken aufzuwedeln, um den kleinen Stachelritter zu ermutigen, noch etwas zu bleiben. Immerhin, mit einem Barsch spiele ich auch nicht jeden Tag!
Es ist sicherlich eine knappe halbe Stunde vergangen, als ich plötzlich ein gutes Stück entfernt den schnittigen Umriss eines Salmoniden entdecke. Der Fisch schwimmt aufgeregt an der Kante der Steilwand auf und ab, und selbst aus der Entfernung erkenne ich recht schnell anhand der markanten weißen Flossensäume, dass es sich um einen Saibling handelt. Ich löse mich vom Boden und mache zwei, drei vorsichtige Flossenschläge, um mich dem Fisch langsam zu nähern. Es ist ein stattlicher Rogner, erkenne ich nun, prächtig gefärbt und mit den ausgeprägten Formen eines laichbereiten Salmoniden. Er schwimmt auf und ab und scheint nervös zu sein. Während ich noch darüber nachdenke, was der Grund für die recht offensichtliche Unruhe des Fisches sein mag, erblicke ich eine Gruppe von sicherlich zwanzig Saiblingen, die direkt auf mich, vermutlich jedoch eher auf ihren Artgenossen, zuhält. Es scheinen fast ausnahmslos weibliche Fische zu sein. Nur einige Milchner entdecke ich, die jedoch ihren Zenit deutlich überschritten zu haben scheinen, jedenfalls wenigstens für diese Saison.
Die Fische kehren zurück an den Ort, an dem ich sie das letzte Mal bereits beobachten konnte. Fast genau im Zentrum ihres Balzplatzes finden sich noch die Spuren auf dem Boden, wo ich noch vor einigen Minuten gekniet und auf sie gewartet habe. Wie aus dem Nichts sind plötzlich auch andere Milchner dort, und diese wirken alles andere als ausgemergelt. Der nervöse Platzhirsch stürzt sich blitzschnell auf den ersten unerwünschten Neuankömmling und drängt ihn ab, muss dann aber zu seinem Harem zurückkehren, weil ein weiterer männlicher Fisch zu nahe kommt. Das Schauspiel beginnt erneut – und ich sitze wieder in der ersten Reihe!
Der Bachsaibling (Salveliuns fontinalis) wurde vor etwa 125 Jahren aus Nordamerika eingeführt und ist heute auch in weiten Teilen Europas und Asiens verbreitet. Er kommt sowohl in stehenden als auch in fließenden Gewässern vor. In Deutschland werden die meisten Fische in Seen und Teichen mit Besatzfischen erbeutet, doch auch in den Bächen und Flüssen vom Norden bis in den Süden wird hin und wieder ein Bachsaibling erbeutet. Die Fische können dabei durchaus eine Länge von mehr als 65 Zentimetern erreichen, so wie auch sicherlich das eine oder andere Exemplar auf den Fotos hier. Gesunde und gut ernährte Fische bringen es dabei im Herbst auf ein Gewicht von rund 3,5 Kilogramm. Milchner sind im Schnitt größer als Rognerm, und Fische aus stehenden Gewässern bringen meistens mehr auf die Waage, als die aus Flüssen und Bächen.
Oft scheinen Naturköder dicht am Grund angeboten, gute Köder zu sein, aber auch Kunstköder können den Erfolg bringen.
In seiner ursprünglichen Heimat erreicht die „Brook trout“, wie der Bachsaibling dort genannt wird, aber noch ganz andere Dimensionen von weit mehr als 80 Zentimetern Länge und einem Gewicht von deutlich über acht Kilogramm. Wer weiß, vielleicht wird der Emigrant solch beachtliche Dimensionen auch eines Tages bei uns erlangen, wenn er sich erstmal richtig eingelebt hat. In Nordamerika ist der Bachsaibling hauptsächlich in den östlichen Landesteilen zu finden und wandert hier in den Flussmündungen sogar ins Meer hinaus, ohne sich dabei jedoch allzu weit aus dem Brackwasserbereich zu entfernen. Die Nahrungsbandbreite ist recht groß, angefangen bei kleinen Insekten und Larven bis hin zu Amphibien und sogar kleinen Säugern. Sicherlich kann man allerdings sagen, dass im Alltag eher Insekten, Larven, Würmer und kleine Fische den Speiseplan füllen. Der Bachsaibling stellt gewisse Ansprüche an die Gewässergüte. Sein Auftreten bzw. sein Überleben in einem See oder Fluss kann durch als positives Indiz für eine gute Wasserqualität gewertet werden. Wie schon beschrieben, ist die Laichzeit im Herbst. Oktober und November sind in Europa die Monate, in denen die Bachsaiblinge Hochzeit halten. Die laichbereiten Rogner legen hierzu auf sandigem oder kiesigem Grund eine Laichgrube an, indem sie mit Flossen und Körper den Sand beiseite wirbeln. Die Eier werden abgelegt, und der dominante Milchner der Gruppe befruchtet sie, bevor der Rogner damit beginnt, die Grube wieder mit Sand und Kies zu füllen.
Bachsaiblinge können ein Alter von etwa zehn Jahren erreichen und werden im Alter von zwei bis drei Jahren geschlechtsreif, in Skandinavien manchmal auch erst ein Jahr später. Das Laichgeschäft und die Kämpfe um die Gunst der Weibchen sind für manche Saiblinge einfach zu viel Stress, und so verenden nicht wenige Fische nach dem Geschehen im Herbst oder sind so ausgezehrt, dass sie den folgenden Winter nicht überstehen.
 

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AW: Saiblingshochzeit

Klasse Bericht und schöne Bilder- danke fürs reinstellen !
 
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